Braunalgen speichern große Mengen an Kohlendioxid und entziehen das Treibhausgas so der Atmosphäre. Der mikrobielle Abbau abgestorbener Braunalgenreste und die damit verbundene Rückgabe dieses gespeicherten Kohlendioxids in die Atmosphäre dauert länger als bei anderen Meerespflanzen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie, des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, der Universität Greifswald und des Massachusetts Institute of Technology haben sich den Abbau-Prozess genau angesehen und sind dabei auf hochspezialisierte Bakterien gestoßen, die über hundert Enzyme nutzen müssen, um die Algen kleinzukriegen.
Man kann sie schön finden oder auch nicht, aber fast jeder
kennt sie: die Braunalge Fucus vesiculosus, auch Blasentang
genannt. Sie wächst fast überall entlang der deutschen Nord- und Ostseeküste.
Andere Braunalgen wie Macrocystis bilden entweder ganze Wälder
entlang der Pazifikküste oder so wie Sargassum Algenblüten,
deren Aggregate den Atlantik von West nach Ost bedecken. Ein produktives
Ökosystem, das manche Ökologinnen und Ökologen als marines Gegenstück zu den
Regenwäldern an Land sehen. Durch Braunalgen werden hohe Mengen an Kohlendioxid
gespeichert, dadurch sind sie ein wichtiger Teil des globalen
Kohlenstoffkreislaufs.
Andreas Sichert vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie widmete sich
in seiner Doktorarbeit der Frage, warum Braunalgen ein so guter
Kohlenstoffspeicher sind: „Hauptbestandteil der Algenbiomasse sind ihre dicken
Zellwände – ein enges Netzwerk aus Eiweißen und langkettigen Zuckern. Wenn die
Alge stirbt, wissen wir kaum, was mit dieser Biomasse im Meer eigentlich
passiert, zum Beispiel welche Bestandteile schnell oder langsam abgebaut
werden.“
Fest und flexibel
Braunalgen sind dabei an den rauen Lebensraum der Atlantikküsten angepasst. Die
Gezeiten, Wind und Wellen fordern von den Bewohnern dieser Gegend besondere
Fähigkeiten. So haben die Braunalgen eine spezielle Zellwandstruktur
entwickelt. Diese ist gleichzeitig fest und flexibel und ermöglicht es der
Pflanze, den Wellen und den Gezeitenströmungen erfolgreich standzuhalten. Ein
wichtiger Bestandteil der Zellwände ist dabei der langkettige Zucker Fucoidan,
der rund ein Viertel des Trockengewichts einer Braunalge ausmacht. Fucoidan
kann vermutlich, ähnlich einem Gel, den Wassergehalt der Zellwand regulieren
und die Braunalgen so bei Ebbe vor dem Austrocknen schützen.
Welche Rolle dieser Zucker Fucoidan im langwierigen Abbauprozess der Braunalgen
spielt, untersuchte Andreas Sichert zusammen mit Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern der Forschungsgruppe Marine Glykobiologie des
Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie und des MARUM – Zentrum für
Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen. Außerdem beteiligt
waren Forschende des Massachusetts Institute of Technology, der Universität
Greifswald und der Universität Wien. „Man wusste bereits, dass Fucoidan
langsamer von mikrobiellen Gemeinschaften abgebaut wird als andere Algenzucker
und daher als Kohlenstoffsenke wirken könnte“, sagt Andreas Sichert, einer der
beiden Erstautoren der Studie, die jetzt im Fachmagazin Nature
Microbiology erschienen ist. „In der Regel sind langkettige Zucker
eine beliebte Nahrung für Bakterien, aber warum gerade Fucoidan besonders
schwer verdaulich ist, war unklar.“
Nur Spezialisten verdauen diesen Zucker
Bislang waren die Stoffwechselwege zum Abbau von Fucoidan nur teilweise
bekannt, es gab aber Hinweise auf die Beteiligung einer hohen Anzahl von
Enzymen, die entweder innerhalb einer mikrobiellen Gemeinschaft verteilt oder
in einzelnen hochspezialisierten Bakterien untergebracht sind. Für die
Untersuchung des Abbaus von Fucoidan verfolgten die Forschenden aus Bremen
letztere Theorie und analysierten neu isolierte Bakterien der Gattung Lentimonas,
die zum Stamm der Verrucomicrobia zählen. Allein die Isolation dieser Lentimonas Bakterien
war nervenaufreibend. „Anfangs hatte ich über tausend Isolate, doch am Ende
konnte nur eines Fucoidan wirklich abbauen“, erinnert sich Christopher H.
Corzett vom Massachusetts Institute of Technology, neben Sichert Erstautor der
Studie.
„Wir haben bei diesen Bakterien einen bemerkenswert komplexen Weg für den Abbau
von Fucoidan entdeckt, bei dem etwa hundert Enzyme verwendet werden, um den
Zucker Fucose freizusetzen – einen Bestandteil von Fucoidan“, sagt Jan-Hendrik
Hehemann, Leiter der Forschungsgruppe Marine Glykobiologie. „Hierbei handelt es
sich wahrscheinlich um einen der kompliziertesten bisher bekannten
biochemischen Abbauwege für einen Naturstoff.“ Fucose wird anschließend über
einen isolierten Bereich in den Bakterien abgebaut. Das von einer
eiweißhaltigen Hülle umgebene Abteil schützt die Zelle vor dem toxischen
Nebenprodukt Lactadehyd. „Die Notwendigkeit einer solch komplexen Zersetzung
zeigt, dass Fucoidan für die meisten Meeresbakterien unverdaulich ist, und nur
durch hochspezialisierte Bakterien im Ozean effektiv abgebaut werden kann“,
sagt Hehemann. „Das kann den langsamen Abbau von Braunalgen in der Umwelt
erklären und lässt vermuten, dass Kohlenstoff im Ozean durch Fucoidan relativ
lange gebunden wird.“
Potenziell pharmakologisch wirksam
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind auch deshalb an Enzymen für
Fucoidan interessiert, weil es ein potenziell pharmakologisch wirksames Molekül
ist, welches ähnliche Wirkung wie Heparin in der Blutgerinnung aufzeigt.
„Enzyme, die spezifisch Fucoidan fragmentieren und somit helfen, dessen
Strukturen aufzuklären, sind von großem wissenschaftlichem Interesse, um die
Wirkung von Fucoidan besser zu verstehen und diese marinen Zucker für
biotechnologische Anwendungen zu erschließen“, sagt der beteiligte Greifswalder Mikrobiologe Thomas Schweder.
Weitere Informationen
Sichert A.#, Corzett C. H.#, Schechter M. S., Unfried F., Markert S., Becher
D., Fernandez-Guerra A., Liebeke M., Schweder T., Polz M. F., Hehemann J.-H.
(2020): „Verrucomicrobia use hundreds of enzymes to digest the algal
polysaccharide fucoidan,“ in: Nature Microbiology, DOI: 10.1038/s41564-020-0720-2.
# Die beiden Autoren haben gleichberechtigt zum Paper beigetragen.
Diese Studie wurde durch die DFG im Rahmen der Emmy Noether Gruppe „Resolve“ und der Forschungsgruppe FOR2406 „POMPU – Proteogenomics of marine Polysaccharide Utilization“ gefördert.
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen
MARUM – Zentrum für
Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen
Department of Civil and
Environmental Engineering, Massachusetts Institute of Technology,
Cambridge, USA
Universität Greifswald
Universität Wien
Ansprechpartner an der Universität Bremen
Dr. Jan-Hendrik Hehemann
MARUM-MPG Brückengruppe Marine Glykobiologie
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen
Telefon +49 421 2028-736
jheheman@mpi-bremen.de
Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Prof. Dr. Thomas Schweder
Pharmazeutische Biotechnologie
Institut für Pharmazie
Telefon +49 3834 420 4212
schweder@uni-greifswald.de
Prof. Dr. Dörte Becher
Institut für Mikrobiologie
Telefon +49 3834 420 5903
dbecher@uni-greifswald.de
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